Syrien, 1969-1975
Gesiegelte Bulle.
Die zentralen Bauten im Tall Qannās umfaßten neben großen Lagerräumen zwei Saalhäuser, die bei Längen von 13,6-17,2 m und Breiten von 9,6-15,7 m größer als vergleichbare Bauwerke der Siedlung sind und deren Wände auch stärker ausgelegt waren. Außerdem gehörte ein innen mit Wandnischen verzierter Einzelsaalbau zum zentralen Komplex. In den Seitenräumen der Saalhäuser befinden sich Treppenläufe, die als Hinweis auf eine Zweistöckigkeit gewertet werden können.
Wertvolle Funde wie Gefässe aus Alabaster oder ein Keramikgefäß in Ringgestalt stammen von hier. Große gesiegelte tönerne Verschlußkappen zeugen von der Lagerhaltung. Leider ist das Bauensemble zum Teil erodiert, zum Teil wegen der jüngeren Überbauung nur unvollständig ausgegraben worden.
Nachdem unsere belgischen Kollegen ihre Arbeit abgeschlossen hatten, führten wir an der Westflanke des Tall Qannās ergänzende, begrenzte Untersuchungen durch. Dabei stellte sich heraus, daß in der Terrasse, auf der der sogenannte «Nordtempel» steht, ein älteres Bauwerk, vermutlich ein Vorgängerbau, verborgen war und daß an diese Terrasse von Norden her ein Weg heranführte. Im Westen des Kult- und Verwaltungszentrums lagen die großen Lehmziegelgruben für die zentralen Bauwerke, die im Gegensatz zu jenen im Wohngebiet nicht mit Asche-und Keramikschutt verfüllt wurden, sondern sauber gehalten waren und offensichtlich als Wasserreservoir dienten. Dies geschah wohl zur Bewässerung der Gartenanlagen im Südwesten, von denen wir noch Kanal- und Pflanzgrubenreste finden konnten.
Wirtschaftliche Grundlagen
In Habuba-Süd ist Handwerk vielfältig belegt. So fand sich in der Nähe des Tall Qannās eine Werkstatt mit Rohmaterialien und Kalkplatten mit Steineinlagen. Insbesondere vom äußersten Nordosten kommen Hinweise auf eine Verarbeitung von Kupfer und Blei, letzteres in Form von Bleiglättestücken, Rückständen des Kupellationsverfahrens zur Gewinnung von Silber. Hier drohte windbedingt die geringste Rauchbelästigung und Brandgefahr. Die Töpferwerkstätten dürften sich außerhalb der Siedlung befunden haben, wie ein großes Ensemble von Fehlbränden nördlich der Stadt nahelegt. Es war vom Stausee lange nach Beendigung unserer Arbeiten freigespült worden.
So klar es erscheint, daß Handel die wirtschaftliche Grundlage bildete: Wie der Warenaustausch im einzelnen funktionierte und worin das Handelsgut bestand, darüber kann nur auf der Basis jüngerer Texte spekuliert werden. Mit Sicherheit dürften zu ihm Metalle, Hölzer und wertvolle Öle gehört haben, also Materialien, die aufgrund ihres Wertes bei der Aufgabe der Stadt mitgenommen wurden, beziehungsweise solche, von denen infolge ihrer Vergänglichkeit keine Spuren mehr erhalten sind.
Die Kleinfunde umfassen außer Keramik ein breites Spektrum von Stein-, Terrakotta- und Kupfergegenständen; hervorhebenswert sind steinerne Töpfe, Amulette und Rollsiegel, kupferne Beile, Gewandnadeln und Angelhaken, die oben bereits als Vorgänger von Schriftzeichen erwähnten Tonsymbole («calculi») und gesiegelte hohle Bälle aus Ton als Warenbegleiter mit einer Füllung solcher «calculi», ferner gesiegelte Bullen und Türverschlüsse.
Die Grundlage der fleischlichen Nahrung bildeten Haustiere, in geringem Anteil Wildtiere und Fische. Dabei wurde deutlich mehr Fleisch von Rindern als von kleinen Wiederkäuern verzehrt.
Spätere Nutzung
Tall Qannās wurde in der Frühbronzezeit, nicht lange nach dem Ende der Stadt der Späten Urukzeit, wiederbesiedelt. Letztlich wurden im Gebiet von Habuba-Süd aber nur noch die Toten bestattet, und dieser Brauch blieb bis in die römische und die islamische Epoche bestehen. Unter den wertvolleren Beigaben der römischen Gräber fanden sich Goldfolien in Augengestalt.