Irak, 1902-1913/1989-1990/seit 2000
Der Reisende, der sich von der flachen, fruchtbaren babylonischen Schwemmlandebene nach Norden begibt, lernt rasch zu begreifen, daß Babylonien und Assyrien zwar gemeinsame kulturelle Wurzeln haben mögen, aber ihrem Wesen nach zwei gänzlich verschiedene Länder sind. Hinter Samarra beginnt die Vegetation zunehmend kärglicher zu werden. Etwa 150 km weiter nördlich findet die Ebene Babyloniens ein unerwartetes, abruptes Ende. Wie ein Sperriegel reckt sich dem Reisenden eine 300 m hohe, schroffe Bergkette entgegen, durch die sich nur der Tigris bei dem Engpaß al-Fatha sein Bett bricht. Hinter dieser natürlichen Grenze, dem Gabal Hamrīn, liegt Assyrien, ein gebirgiges Land, in dem - anders als im steinlosen Babylonien - es keine Palmenhaine mehr gibt, aber Regenfeldbau möglich ist. Die Berge setzen sich fort im Gabal Hanūqa, der in niedrigen Ketten nach Norden ausläuft. Auf einer dieser Bergnasen, die sich nach Nordosten ansteigend stolze 25 m hoch über den Tigris erhebt, um dann fast senkrecht zum Fluß abzufallen, liegt die Ruine der einstigen Hauptstadt Assyriens.
Die Lage der Stadt ist günstig. Die gesamte, später 1,5 km lange Ostrlanke des Stadtgebietes ist geschützt durch den reißenden Tigrisstrom, der sich bei Hochwasser bis zu 1,5 km verbreitern kann. Ein Seitenarm des Tigris, der jedoch ruhig fließt und so geeignet ist für das Anlegen von Schiffen, sicherte die hochgelegene, steil abfallende Nordfront. Lediglich die Süd- und die Westseite des Stadtgebietes bieten keinen natürlichen Schutz. Den Bewohnern der Stadt garantierte die außerordentlich fruchtbare Flußaue, die Assur im Norden und Osten umgibt, die unmittelbare Lebensgrundlage. Der Reichtum der Stadt hatte jedoch eine andere Quelle. Im Schutze des kargen Niemandslandes, das nach Süden hin Assyrien von Babylonien trennt, konnten die Herren Assurs die Handelswege nach Babylonien, Syrien, Anatolien und in das iranische Hochland kontrollieren.