Syrien, seit 1969
Ausgrabungen in einem der großen Tempel auf Tall Munbāqa im Jahr 1971, als der Stausee noch nicht das Euphrattal füllte. Im Hintergrund, nach Westen hin, zeichnet sich eine uralte Landmarke ab: der ehrwürdige Gabal Aruda.
Text: Dittmar Machule
Die Umgebung von Tall Munbaqa heute
Seit 1975 füllt der 90 km lange und bis zu 3 km breite Assad-See das Euphrattal. Das Land am oberen Euphrattal hat sich durch den Bau von Straßen und Wasserkanälen und infolge der großen land- und forstwirtschaftlichen Projekte verändert. War die Gegend um Tall Munhāqa um 1910 noch Beduinenland und weitgehend menschenleer, so zeugen mittlerweile Getreide- und Baumwollfelder, jüngst gebaute Straßen und Versorgungsleitungen von einer modernen Siedlungsblüte. Dörfer mit Schulen und sonstiger Infrastruktur sind hinzugekommen. Die Lebensumstände der Menschen haben sich schnell gewandelt. Von all dem ist Tall Munbāqa nicht direkt betroffen; die Ruine liegt in der Wasserschutzzone des unmittelbaren Stauseebereichs. Aber die schwankenden Wasserstände des neuen Sees und heftiger Wellenschlag führen bei häufigen und starken Winden, auch gewaltigen Sandstürmen, zur Zerstörung der Uferzonen. Ufernahe Teile der Stadtruine sind dadurch bereits unwiederbringlich verschwunden.
Chronologie der Ausgrabung
Tall Munbāqa wird seit 1969 von der DOG erforscht. Von Anfang an unterstützte die syrische Antikenverwaltung großzügig das Vorhaben. Zunächst leitete Ernst Heinrich die Feldforschung vom Grabungsort Tall Habüba Kabïra her; von dort war Munbāqa mit bloßem Auge in der Ferne erkennbar. Dann wurden eigenständige Grabungen durchgeführt. In den Jahren 1973 und 1974 war Winfried Orthmann, Saarbrücken, Grabungsleiter, 1977 Alfred Maurer, und seit 1978 ist es Ditt-mar Machule, Technische Universität Hamburg-Harburg. Bis 1979 wurden die Ausgrabungen von der Stiftung Volkswagenwerk finanziert, dann mit Spendenmitteln. Von 1983 bis 1994 förderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Arbeiten. Von 1983 bis 1994 wurden jährlich zwischen Juli und Oktober dreimonatige Grabungskampagnen mit einem im Mittel 15köpfigen Team von Archäologen, Architekten und weiteren Spezialisten sowie bis zu 130 syrischen Grabungsarbeitern durchgeführt.
Im Jahr 1994 fand die 20. Grabungskampagne statt. Ausführliche Berichte über die Ergebnisse der Kampagnen finden sich in den MDOG 101 (1969) und folgende. Die Publikation des Grabungsendberichts steht bevor.
Als noch Kamelkarawanen Syrien durchquerten, lag der Ort vier Tagesreisen von Aleppo entfernt. Heute ist er von dort mit dem Auto in drei Stunden oder in gut einer Stunde von Raqqa, der nächstgelegenen größeren Stadt, erreichbar. Tall Munbāqa liegt in etwa 75 km Luftlinienentfernung östlich von Aleppo, direkt am Fluß, auf dem linken Steilufer des Euphrattals. Die Ruine ist von einer natürlichen, eindrucksvoll offenen Landschaft mit markanten Bergformationen umgeben. In 3,5 km Entfernung, auf der Westseite des Tals, erhebt sich der ehrwürdige Ğabal 'Arüda, und 2 km entfernt lagern im Osten langgestreckte Tafelberge. Der weite Blick über das Euphrattal im Westen und der nach Osten, in die Landschaft der «Ğazira», die «Insel» zwischen Euphrat und Tigris, lassen die strategische Position der wiederentdeckten Stadt noch nachempfinden.
Mitte der 60er Jahre wurden die seit langem betriebenen Planungen für einen großen Euphrat-Stausee im Norden Syriens konkret. Die syrische Antiken Verwaltung führte archäologische Bestandsaufnahmen im damals dünn besiedelten Euphrattal durch. Es ergab sich das Bild einer seit dem Neolithikum von Menschen belebten Flußaue. In der Bronzezeit, im
3. und 2. Jt. v. Chr., lagen am Rande des fruchtbaren Tales offenbar befestigte Städte wie Perlen auf einer Schnur aneinander gereiht. Zu Wasser und zu Land durchquerten Fernhandelsrouten die blühende Kulturlandschaft. Im 2. Jt. v.Chr. lag Nordsyrien im Interessengebiet der benachbarten Großmächte, der Ägypter, Hethiter, Hurriter und Assyrer. Wir wissen von Vorstößen der ägyptischen Könige der 18. Dynastie nach Syrien, die im 8. Feldzug Thutmosis' III. gegen das Reich Mittani im Jahre 1458 gipfelten. Stolz berichtet der Pharao über die Städte, die er am Euphrat zerstörte. Noch im Mittelalter verlief in dieser Gegend die «Seidenstraße». Auch bei Tall Munbāqa dürfte es einen Flußübergang gegeben haben.