Syrien, seit 1969
Blick von Nordosten zum Tall Munbāqa. Noch heute sind die über 10 m hoch aufragenden Stadtwälle der vor ca. 3200 Jahren zerstörten Stadt Ekalte weithin sichtbar.
«Vorbesichtigung»
Über die historischen Entwicklungen dieser uralten Kulturregion war - und ist immer noch - wenig bekannt. Deshalb hatte die syrische Antikenverwaltung alle größeren Fundstätten registriert. Der aufstrebende junge Staat erbat internationale Hilfe bei der Erforschung der gefährdeten Bodendenkmäler. Im September 1968 besichtigte eine Kommission der DOG -Ernst Heinrich, Einar von Schuler und Eva Strommenger-Nagel - unter anderem auch die Ruine Nr. 14, genannt «Tall Mumbaqat». Sie erweckte ihr «höchstes Interesse». Ihre Einschätzung lautete: «Für eine sehr reich ausgestattete Expedition wäre dies ein vielversprechendes Objekt». Ihnen war seinerzeit nicht bekannt, daß der mühsam erreichbare Ort am Fluß mit seinen hohen Wällen und merkwürdigen Steinsetzungen 61 Jahre zuvor schon einmal eine Europäerin in gleicher Weise fasziniert hatte. Die berühmte englische Orient-Reisende Gertrude Bell hatte 1907 auf «Munbayah» ihre Zelte aufgeschlagen, dort fotografiert und skizziert. In ihrem seinerzeit viel beachteten Buch «Amurath to Amurath» fand sich 1911 erstmals Nachricht von dieser etwa 14 ha großen Stadtruine. Auch Gertrude Bell hätte brennend gern dort gegraben, «um zu sehen, was im Boden liegt», wie sie schrieb.
Die Ahnungen der von hohen Wällen und großen Steinblöcken beeindruckten fachkundigen Besucher trogen nicht. 1969 identifizierte Ernst Heinrich auf der Nordwestseite der Ruine ufernah gelegene mächtige Steinsetzungen als Mauern von zwei großen Antentempeln. Gertrude Bell hatte sie als «Wassertor» bezeichnet. Es sollte lange dauern, bis sichtbar wurde, daß in dem Tall mit Namen Munbāqa, «das gestohlene Land», tatsächlich unmittelbar unter der Erdoberfläche die Reste einer über 3500 Jahre alten Stadt verborgen waren. Tall Munbāqa bot die seltene Chance, umfassende Informationen zum Städtebau, zur Architektur und zur Kultur einer altorientalischen Stadt in ihrer Gesamtheit ergraben zu können. Dies vor allem auch, weil die spätbronzezeitlichen Schichten, wie sich später herausstellte, nur in Teilbereichen von einer römisch-byzantinischen Nekro-pole überlagert sind. Die DOG und ihre Ausgräber ergriffen die Chance, auch wenn die Expeditionen nicht «reich ausgestattet» waren. Gertrude Bells Frage, was dort «im Boden liegt», kann heute beantwortet werden: Es sind die Reste der spätbronzezeitlichen Stadt Ekalte.
Grabungsmethoden
Die Feldforschung wurde mit bewährten, althergebrachten (Hacke, Pinsel, Schaufel, Schubkarre), aber auch mit modernsten Methoden betrieben. Ohne den Einsatz eines Schaufelradladers, der von der 400 km entfernten Grabung Tall Šaih Hammad (Leitung Hartmut Kühne, Berlin) ausgeliehen wurde, hätten viele Informationen nicht gewonnen werden können. Wichtige Erkenntnisse zur Stadtstruktur von Ekalte lieferten zerstörungsfreie Prospektionen des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege. Im Frühjahr 1993 führten die beiden Geophysiker Helmut Becker und Jörg Faßbinder -beide hatten mit ihren Messungen zuvor gerade den Verlauf der lang gesuchten Stadtmauer von Troja herausgefunden - mit Hilfe hochsensibler Cäsium-Magnetometer in bislang unausgegrabenen Stadtflächen in 10 Tagen 160000 Messungen durch. Die unterschiedlichen Bodenmaterialien ermöglichen infolge unterschiedlicher Magnetfelder den Blick in die Erde. Diese Methode kam in Syrien hier erstmals zur Anwendung. Auf Munbāqa ergaben sich mittels dieser hochmodernen geophysikalischen Prospektionsmethode großartige Ergebnisse. Es konnten Straßen- und Hausgrundrisse, Quartiere mit starken Brandschichten sowie besondere Architektur - ein Großbau, möglicherweise ein Tempel - im Computerbild erkennbar gemacht werden. Gleichzeitig und ergänzend führten der syrische Geophysiker Faris Chouker und sein syrisches Team erfolgreich elektrische Erdwiderstandsmessungen durch. Nun läßt sich nahezu der gesamte Stadtplan von Ekalte interpretieren.
Geschichte der Stadt
Die Stadt Ekalte wurde in der Übergangszeit von der Mittel- zur Spätbronzezeit auf den hügelartigen Resten einer früh-bronzezeitlichen Siedlung - einer Bauanlage mit dicken Lehmziegelmauern, vielleicht einer Grenzfestung (Grabungsareal «Kuppe») - angelegt. Als geeigneten Siedlungsplatz hatte man in der Frühbronzezeit offensichtlich mit Bedacht eine natürliche Kieslinse im hochwassergefährdeten Euphrattal ausgewählt. Die Lage wurde von den mittel- und spätbronzezeitlichen Siedlern ebenso geschätzt. Die vorgefundene Lehmziegelruine wurde mit einer Steinmauer stabilisiert und als höher gelegene zentrale Stadtfläche genutzt. Auf diesem Stadtkern erhielten in exponierter Lage die großen Tempel ihren Platz. Sie müssen weithin sichtbar gewesen sein. Neben den beiden Ost-West-ausgerichteten Tempeln, die Ernst Heinrich 1969 identifizierte, wurden in der Kampagne 1989 - völlig unerwartet - die Mauern eines dritten, parallel zu den anderen liegenden, ausgegraben. Er war auf sorgfältig zugesetzten mittelbronzezeitlichen Vorgängerbauten errichtet worden. Die drei großen nordsyrischen Anten-Tempel mit ihren 2,75 m breiten Steinsockelmauern unterstreichen die einstige Bedeutung der spätbronzezeitlichen Stadt. Der größte unter ihnen («Steinbau 2») hat Außenmaße von 33,4 m x 14,8 m. Ein durch Stadtmauern und Schüttungswälle geschützter «Siedlungsring» (Grabungsareale «Ibrahims Garten» und «Innenstadt») umgibt die «Kuppe». Auch am tiefer gelegenen Flußufer (Grabungsareale «Ufer») finden sich Ruinen der Stadt. Später wurde die Stadt um knapp die Hälfte ihrer bisherigen Fläche nach Osten hin vergrößert (Grabungsareal «Außenstadt»).
Der Ort hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Allein sechs spätbronzezeitliche Erneuerungsphasen, wohl mitverursacht durch Krieg und Erdbeben, betrafen die gesamte Siedlungsfläche der Stadt Ekalte. Innerhalb der Stadtmauern wurde sehr häufig umgebaut, ergänzt, erneuert und brachfallen gelassen. Vorgefundene Baumaterialien, Steine, Lehmziegel und Dachbalken, wurden geborgen und wiederverwendet. Durch Veränderung wandelte sich das Aussehen der gebauten Stadt. Ihre Blütezeit lag in der Mitte des 2. Jts. v. Chr.
An nahezu allen Stellen der Ruine wurden mit Kies befestigte Straßen- und Gassenabschnitte der Stadt Ekalte ausgegraben. Häufig fanden sich, einseitig oder beidseitig, wie Bänke entlang der Häuser gesetzte steinerne Borde. Das Straßennetz besteht aus bis zu 7 m breiten Hauptstraßen, die sich platzartig erweitern können, sowie aus engen Gassen als Nebenstraßen.