Von außerordentlichem Interesse für die Ausgräber - und mehr noch für das Publikum, das vor allem durch die anfangs drei bis vier Mal im Jahr erscheinenden Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft auf dem laufenden gehalten wurde -war die Entdeckung der Ruinen des berühmten Tempelturms Etemenanki und des Marduk-Tempels Esagil. Nachdem Koldewey im Jahre 1900 die Prozessionsstraße entdeckt hatte, äußerte der Berliner Assyriologe und Direktor der Vorderasiatischen Abteilung der Königlichen Museen, Friedrich Delitzsch, die Hoffnung, daß «nunmehr auch der grosse Marduktempel ... gefunden werde». In einem Postskriptum zu seinem Aufsatz konnte er sogleich die gerade eingetroffene Mitteilung Koldeweys bekanntgeben, daß tatsächlich tief unter dem Hügel cAmrān ibn cAlï im Süden der Stadt ein Gebäude entdeckt worden sei, das «nach Anlage und Inschriftenfunden» der gesuchte Tempel sein müsse. Die Grabungsbedingungen waren hier allerdings besonders schwierig: Die Mauern des Gebäudes lagen bis zu 21 m tief unter der Oberfläche, so daß an eine vollständige Freilegung angesichts seiner Dimensionen (79,30 m x 85,80 m) nicht zu denken war. Mit Hilfe von Schächten und Stollen konnte jedoch der Grundriß im wesentlichen ermittelt werden. Einem Bericht Nebukadnezars kann man entnehmen, mit welcher Pracht dieser Haupttempel der Stadt geschmückt war. Die Cella, in der das Bild des Gottes stand, war von-goldüberzogenen Zedernbalken überdacht. Die Wände waren mit Gold verkleidet, der Sockel des Kultbildes bestand aus Lapislazuli und Alabaster.
Wo der Tempel Esagil lag, konnte der Tempelturm (akkadisch ziqqurrat) Ete-menanki nicht fern sein, da beide in den Texten oft zusammen genannt wurden. Der erste Assyriologe der Babylon-Grabung und nachmalige Berliner Ordinarius für Assyriologie Bruno Meissner war es, der schon ein Jahr später auf dem Hintergrund dieser Überlegung Etemenanki in der Senke nördlich von Esagil lokalisierte.
Erst seit 1908 wurde dieser Teil der Ruine in Angriff genommen, wobei zunächst Teile des Peribolos freigelegt wurden. Was von dem Turm selbst in der Antike übrig geblieben war, war in neuerer Zeit weitgehend den «Ziegelräubern» zum Opfer gefallen. Nur in seinem untersten und innersten Teil war er noch etwa 4 m hoch erhalten. 1913 konnte Koldewey die Ruine genauer untersuchen, weil nach dem Bruch eines Euphratstaudammes der Grundwasserspiegel abgesunken war und die untersten Lagen von gebrannten Ziegeln sichtbar wurden, die den Ziegelräubern entgangen waren, weil sie bis dahin unter der Wasseroberfläche gelegen hatten. Es ergab sich nun, daß der Turm auf einer Fläche von durchschnittlich 91,55 m Seitenlänge stand (bis zu 18 cm Abweichungen). Auf der Südseite befanden sich drei Treppenaufgänge. Die heute nicht mehr vorhandene Mitteltreppe ist länger als die Seitentreppen. Von der westlichen Seitentreppe sind 16 Stufen erhalten, von der östlichen sieben, so daß man für diese Treppen den Neigungswinkel messen kann. Der Neigungswinkel der Treppen ist natürlich wesentlich für die Rekonstruktion des Turmes.
Aber nicht nur die Ausgrabungsergebnisse und die Angaben Herodots sind die Basis für die zahlreichen bisher vorgelegten Rekonstruktionsversuche, sondern vor allem auch eine Keilschrift-tafel, die bereits 1876, also mehr als 20 Jahre vor dem Grabungsbeginn in Babylon, von dem englischen Assyriologen George Smith veröffentlicht wurde. Die Tafel war in Uruk in Südbabylonien im Jahre 229 v. Chr. geschrieben und in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts von Raubgräbern gefunden worden; sie gelangte danach auf den Antiquitätenmarkt, wahrscheinlich in Baghdad, wo George Smith sie sah und abschreiben durfte. Sie blieb dann Jahrzehnte verschwunden, bis sie 1912 wieder in Paris auftauchte und vom Louvre gekauft wurde. Es handelt sich um eine mathematische Übungstafel, die bestimmte Rechenoperationen am Beispiel der Kultbauten von Babylon darstellt, und zwar des Tempels Esagil und des Tempelturms Etemenanki unter Berücksichtigung seiner verschiedenen Stockwerke.