Syrien, 1989
Tall Mulla Matar. Osthang mit Stufensondage
Ein Dorf ist bestimmt, in den Wassern eines Stausees unterzugehen
Tall Mulla Matar liegt ca. 8 km südlich der nordostsyrischen Provinzhauptstadt Hasaka am Westufer des Unteren Hābür, innerhalb eines ca. 35 km langen Abschnittes der Hābür-Aue, der in naher Zukunft, nach Fertigstellung eines Staudammes, überflutet werden wird. Es handelt sich um eine kleine, dörfliche Siedlungsruine mit einer Grundfläche von ca. 90 x 60 m, bei einer mittleren Höhe von 9 m.
Grund für die Wahl der Ruine als Ausgrabungsstätte waren auf der Hügeloberfläche gefundene Scherben, die den Schluß nahelegten, daß der Ort nicht nur, wie zahlreiche andere Ruinen der Region, während des frühen 3. Jts. v.Chr., sondern bereits früher, im ausgehenden 4. Jt. v. Chr., besiedelt war. Es bestand die Hoffnung, Aufschlüsse hinsichtlich der Frage der Siedlungskontinuität in Nordostsyrien am Ende der Frühsumerischen Zeit (ca. 3200 v. Chr.) zu erhalten. Diese Frage ist deshalb von einiger Bedeutung, weil im Einzugsbereich des Hābür-Dreiecks bisher nur in der Stadtruine Tall Brak eindeutige Ergebnisse - im dortigen Falle wurde Siedlungskontinuität festgestellt -erzielt werden konnten. Mit der siedlungsarchäologischen Fragestellung waren Fragen nach Art und Umfang von Veränderungen der materiellen Kultur, insbesondere bei der Keramik, eng verbunden.
Schuttschichten gewähren Einblicke in die Siedlungsgeschichte
1989 wurden in Tall Mulla Matar zweimonatige Untersuchungen durchgeführt, die innerhalb einer 18,5 m langen, 10 m breiten und ca. Ilm tiefen Stufensondage am Osthang der Ruine einen vollständigen Aufschluß über die Siedlungsgeschichte des Ortes in seinem flußseitigen Bereich erbrachten. Dabei stellte sich heraus, daß die Anfänge des Ortes weitaus älter sind als zuvor angenommen. Früheste Hinweise auf eine Besiedlung gaben mehrere bemalte Scherben der Halaf-Kultur, die in jüngeren Schuttschichten gefunden wurden. Danach hat hier bereits im 5. vorchristlichen Jt. eine Ansiedlung bestanden, deren Baureste sich tief im Inneren der Ruine befinden müßten. Die ältesten in der Ausgrabung angetroffenen Schichten gehören bereits der mittleren und späten Ubaid Zeit sowie dem Späten Chalkolithikum Nordsyriens (spätes 5. bis Mitte des 4. Jt. v. Chr.) an. Auch hier wurden keine Baureste, sondern nur zum Fluß hin auslaufende Schuttschichten angetroffen, die zahlreiche Keramikfragmente aus den genannten Epochen enthielten.
Einige wenige, in jüngere Schuttschichten geratene Scherben der Frühsumerischen Zeit zeigen, daß Tall Mulla Matar bis ca. 3200 v. Chr. bewohnt gewesen sein dürfte, daß jedoch anschließend - über einen Zeitraum von mehreren hundert Jahren, bis ca. 2800 v.Chr. - eine Siedlungsunterbrechung stattfand. Danach wurde der Hügel planiert und wiederbesiedelt, wie eine insgesamt 6 m mächtige Schichtenabfolge aus dem mittleren Abschnitt der Frühen Bronzezeit (ca. 2800-2500 v. Chr.) zeigt. Diese Abfolge bestand aus sechs Bauschichten, die voneinander durch insgesamt mehr als 50 Asche- und Schuttbänder getrennt waren. Überwiegend sind es Überreste von Wohnhäusern, doch wurden auch Teile einer Hangbefestigung aus Lehmziegeln festgestellt, gegen deren oberen Abschluß sich rückwärtig eine fast 2 m breite Lehmziegelmauer legt. Vermutlich handelte es sich dabei um eine befestigte Wohnanlage, möglicherweise den Sitz eines damaligen Dorf Oberhauptes. Auf die Existenz noch jüngerer Siedlungsschichten aus der Zeit kurz vor der Dynastie Sargons von Akkad deuten einige Gefäßfragmente der «Metallischen Ware» hin.
Während der nächsten zwei Jahrtausende blieb der Ort allem Anschein nach unbewohnt. Erst in hellenistisch-römischer (und später nochmals in mittelalterlich-islamischer) Zeit wurde Tall Mulla Matar erneut in die flußnahen Siedlungssysteme am Unteren Hābür einbezogen. Letztes Glied innerhalb der Tradition dieser annähernd 7000 Jahre alten Siedlungskammer ist das heutige Dorf Sābicat Sukür. Es wird, wie auch der Tall selbst, schon bald in den Wassern des neuen Stausees versunken sein.