Ägypten, 1905-1906
Vorgeschichtliche Schminkpaletten: Figürliche Steinplatten zum Zerreiben von Mineralstückchen als Grundstoff für grüne oder schwarze Augenschminke.
Rund 80 km südlich von Kairo, beim Ort Abusir el-Meleq (so konventionell für Abu Sir al-Malaq), liegt ein Wüstenhügel mit Gräbern aus der griechisch-römischen Zeit. Auf der Suche nach griechischen Papyri stieß hier Otto Rubensohn, Beauftragter der Berliner Papyrus-Kommission, im März 1905 auf vorgeschichtliche Hockergräber. Die Entdeckung der ägyptischen Vorgeschichte lag damals noch nicht lange zurück. Erst 1892 hatte der englische Archäologe W. M. F. Petrie bei dem oberägyptischen Ort Naqada einen vorgeschichtlichen Friedhof mit Tausenden von Gräbern gefunden und freigelegt. Naqada wurde in der Archäologie namengebend für die in Oberägypten beheimatete vorgeschichtliche Kultur.
Die DOG reagierte sehr rasch auf die Nachricht über den neuen Fund, und schon fünf Monate später waren die Ausgräber zur Stelle. Als Grabungsleiter bestellte man den Ägyptologen Georg Möl-
ler. Der damals knapp 30 Jahre alte Möller war einer der letzten Ägyptologen, die ihr Fach in voller Breite beherrschten. Sein wichtigstes Werk ist eine auch heute noch verbindliche Paläographie des Hieratischen, der kursiven Form der Hieroglyphenschrift.
Dr. med. Friedrich W. Müller bearbeitete das Skelettmaterial; er legte seine Ergebnisse 1915 in WVDOG 27 vor. In der Hoffnung auf weitere anthropologische Ausbeute hat sich die Rudolf-Virchow-Stiftung in Berlin an den Kosten der 2. Grabung beteiligt. Aber die in dieser Kampagne gefundenen Skelettreste waren durch Bodensalze weitgehend zerstört und anthropologisch nicht auswertbar.
Möller grub jeweils einige Monate im Sommer 1905 und im Herbst 1906, wobei er den Friedhof zu einem großen Teil erfaßte. Insgesamt legte er 850 Gräber frei, aus deren Formen und Beigaben hervor-
geht, daß dieser Friedhof vom Ende der Kulturstufe Naqada II, über Naqada III bis zum Beginn der geschichtlichen Epoche Altägyptens benutzt wurde. Längliche Grabgruben sind für die ältere Zeit bezeichnend, sie werden von rechteckigen Gruben, zum Teil mit Lehmbewurf und Ausmauerung, abgelöst. Die Längsachsen der Gruben sind annähernd genau südnördlich ausgerichtet - die in Hockerstellung beigesetzten Leichen lagen fast ausnahmslos mit dem Kopf nach Süden und zwar auf der linken Seite, mit dem Gesicht nach Westen. Die wertvolleren Beigaben, vor allem Steingefäße und Schminktafeln (zum Zerreiben von Augenschminke aus Bleiglanz und Malachit, vgl. Abb. oben) waren in der Nähe der Hände deponiert, die Vorratsgefäße am Fußende.
Möller berichtete in MDOG Nr. 30 und 34 über den Grabungsverlauf und in vorläufiger Weise auch über die Funde, aber er kam in den folgenden Jahren nicht über die Vorarbeiten zu einer wissenschaftlichen Veröffentlichung hinaus. Unerwartet starb er 1921 im Alter von 45 Jahren an einem Malariaanfall; die Krankheit hatte er sich während des 1. Weltkrieges in Kleinasien zugezogen. Der Ägyptologe Alexander Scharff nahm sich Möllers liegengebliebener Arbeit an. Scharff war Möllers Nachfolger als Kustos im Berliner Ägyptischen Museum, wo auch die meisten Fundstücke aus Abusir el-Meleq lagen. Da sich in Möllers Unterlagen kein Plan des Friedhofs von Abusir el-Meleq finden ließ, begab sich Scharff auf das Gelände, um nachträglich einen Plan zu erstellen. Aber in den seit Abschluß der Grabung vergangenen 19 Jahren war alles wieder versandet, und die Lage der Gräber ließ sich nicht mehr feststellen. Wegen dieses Fehlens horizontal-stratigraphischer Angaben war es unmöglich, eine innere Chronologie dieses Friedhofes zu erstellen. Daher müssen die Einzelgräber und ihre Funde im Anschluß an besser publizierte Naqada-Friedhöfe datiert werden. Diese Unvollständigkeit hat den archäologischen Wert der Funde von Abusir el-Meleq gemindert. Scharff veröffentlichte 1926 in WVDOG einen ausführlich kommentierten Fundkatalog mit über 500 Objekten. Er schrieb Möllers Funde einem über die Landenge von Suez nach Unterägypten eingedrungenen Volk zu, «dessen Spuren wir vor allem in den Friedhöfen des nördlichen Oberägypten (Abusir el-Meleq, Gerzeh, Harageh) erkennen. Seine Kultur schiebt sich nach Süden vor und erweist sich stärker als jene im südlichen Oberägypten, die es in vielen Dingen aufsaugt.» Scharff s Rekonstruktion der ägyptischen Vorgeschichte ist überholt. Gesichert ist heute die Erkenntnis des Scharff-Schülers Werner Kaiser, daß Abusir el-Meleq eine Station bei der Ausbreitung der in Oberägypten entstandenen Naqadakultur nach Unterägypten darstellt. Das geschichtliche Altägypten, das Ober- und Unterägypten umfaßte, ist zwar aus je einer ober- und unterägyptischen Wurzel erwachsen, aber die südliche Kultur hat die nördliche überlagert, nicht umgekehrt.