Irak, 1902-1903
Die Ausgräber von Babylon führten nebenbei auch einige andere Ausgrabungen in der weiteren Umgebung durch, darunter in dem Ruinenhügel Fara. Um in möglichst kurzer Zeit ein möglichst umfassendes Bild zu erlangen, legte der Grabungsleiter Walter Andrae zahlreiche Suchgräben von bis zu 800 m Länge an.
Das babylonische Gilgamesch-Epos erzählt in seiner 11. Tafel von Utnapisch-tim, dem «Mann von Schuruppak», der auf Rat seines Gottes Ea ein kastenförmiges Schiff gebaut hatte und so der von den Göttern verhängten Sintflut entkommen war. Die babylonische Sintflutgeschichte war seit der Ausgrabung der Bibliothek Assurbanipals in Ninive im Jahre 1872 bekannt, und die bis in die Details gehenden Parallelen zur biblischen Noah-Erzählung hatten im ausgehenden 19. Jh. ein weit über Fachkreise hinausgehendes Interesse am Alten Orient angeregt. Auch eine Version der sumerischen Königsliste nennt die Stadt Schuruppak als Sitz des Königtums unmittelbar vor der Sintflut, allerdings wurde der betreffende Text erst 1923 publiziert.
Die Lage von Schuruppak war noch unbekannt, als der Assyriologe Hermann Hilprecht, der für die Universität von Pennsylvania die sumerische Kultmetropole Nippur ausgrub, die Region um den Fāra genannten Ruinenhügel etwa 20 km südlich von Nippur erkundete. 1901 besuchte er Babylon und wies den Leiter der dortigen DOG-Grabung, Robert Koldewey, auf die Bedeutung der Ruinenstätte Fāra hin. Hilprecht, der aus Sachsen-Anhalt stammte, in Leipzig studiert hatte und Mitglied der DOG war, machte in demselben Jahr während eines Berlin-Besuchs der DOG den Vorschlag, mit der Untersuchung in Fāra eine weitere Ausgrabung in Mesopotamien im Namen und Auftrag der Gesellschaft zu etablieren. Die DOG stimmte zu und erteilte im Frühjahr 1902 Koldewey den Auftrag, die notwendigen Schritte für den Beginn der Arbeiten in Fāra zu unternehmen. Dabei spielte die Einschätzung, daß hier «neues Licht für die älteste Kultur Südmesopotamiens zu gewinnen» war, eine besondere Rolle. Im Juni 1902 begannen die Grabungen, die bis zum März 1903 andauerten.
Im Laufe der achteinhalbmonatigen Grabung wurde immer deutlicher, daß man eine der wichtigsten Städte Südmesopotamiens erfaßt hatte. Der Fund eines Tonnagels (Abb. 28), der die Inschrift eines gewissen Haladda, des Stadtfürsten von SU.KUR.RU trug, lieferte die Identifikation des Ortes: Auf einem den Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft 16 (1903) beigelegten Blättchen konnte Friedrich Delitzsch als Nachtrag zu dem Grabungsbericht den Nachweis erbringen, daß die Zeichengruppe SU. KUR.RU, mit der der Ortsname geschrieben war, Schuruppak zu lesen war. Man hatte also Schuruppak, die Heimatstadt des babylonischen Sintfluthelden Utna-pischtim, entdeckt.
In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit strebten die Ausgräber an, auf möglichst umfassender Fläche Aufschluß über die Stratigraphie der baulichen Belege und die zeitliche Abfolge der Besiedlung in Fāra zu gewinnen. Zu diesem Zweck hatte Walter Andrae, Grabungsleiter vor Ort, zahlreiche Sondagen angelegt, die den Siedlungshügel vor allem in Ost-West-Richtung schnitten. In Bereichen, in denen man auf gut erhaltene Architekturreste stieß, wurden die Sondagen zu Flächengrabungen erweitert. Die so erfaßten Siedlungsausschnitte zeigen ein Spektrum unterschiedlich großer Häuser, die vor allem zu Wohnzwecken, aber auch als Archive, zur Abwicklung von Verwaltungsaufgaben und als Bestattungsplätze genutzt worden waren. Hofhäuser mit Wohnflächengrößen von ca. 16 m2 bis 600 m2 enthielten Tontafeln, Keramik, Metallgerät, Siegel und Siegelabrollungen.